Chancen und Risiken digitaler Medizin

Dr. Wolfgang Rechl, Vizepräsident der BLÄK

Das Internet – eine Plattform der unbegrenzten Möglichkeiten. Patientinnen und Patienten, Ärztinnen und Ärzte nutzen es als vielseitige Quelle für medizinische Informationen. Laut Statistischem Bundesamt suchten im vergangenen Jahr knapp 40 Millionen Menschen in Deutschland online nach Informationen zum Thema Gesundheit. Das entspricht einem Anteil von 67 Prozent der Internetnutzer und bedeutet einen Zuwachs von knapp elf Prozent gegenüber dem Jahr 2010. Informationsgewinnung aus dem Netz ist heute nicht nur bei jüngeren Patienten verbreiteter denn je. Doch welche Chancen bringt und welche Risiken birgt das System digital?

Evidenzbasierte Gesundheitsinformationen

In einem Leitfaden hat das „Netzwerk evidenzbasierte Medizin“ (EbM-Netzwerk), darunter mehr als 25 Informationsersteller, Wissenschaftler, Kliniker und Patientenvertreter sowie Journalisten, formuliert, welche Anforderungen verlässliche Gesundheitsinformationen erfüllen müssen. So verweist der Leitfaden auf den Ratgeber Patientenrechte, wonach alle Menschen ein Recht auf umfassende Informationen zu Fragen hätten, die ihre Gesundheit und Krankheit betreffen. Ebenso hätten sie ein Recht auf eine verständliche Vermittlung dieser Information. Diese Grundsätze sind auch im deutschen Patientenrechtegesetz verankert. Für klare Informationen benötigen Bürgerinnen und Bürger evidenzbasierte Informationen, die sich durch eine nicht verzerrte und zuverlässige Darstellung des aktuellen medizinischen Wissensstands auszeichnen.

Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt. So fordert das EbM-Netzwerk, dass Ersteller von Informationen ihre Vorgehensweise veröffentlichen. Im Leitfaden heißt es, eine unverzichtbare Anforderung sei es, dass Verfasser und Herausgeber von Gesundheitsinformationen ihr Vorgehen nachvollziehbar darlegen und durch eine transparente Beschreibung der zugrunde liegenden Methoden und Prozesse begründen.

Dies erfordere die Veröffentlichung frei zugänglicher Methodenpapiere, in denen Verfasser und Herausgeber ihre allgemeine Vorgehensweise beschreiben. Nur so lassen sich Informationen aus dem Netz auch sinnvoll und risikoarm einsetzen!

Kritischer Patient, aufmerksamer Arzt

Die Anforderungen an die Transparenz sind das Eine, die kritische Lesart des Rezipienten das Andere. Eine allumfassende Sicherheit zum Wahrheitsgehalt und zur Evidenz der im Internet zugänglichen Informationen wird es nicht geben können. Jedem sei geraten, die ihm zur Verfügung gestellten Informationen kritisch zu hinterfragen. In Zeiten von Gesundheits-Apps, Fittnesstrackern und DrEd.com rate ich auch den Ärzten zu verschärfter Aufmerksamkeit. Gelebte Praxis ist, so berichten mir viele Kolleginnen und Kollegen, dass Patienten ihren Ärzten eine Fülle an Daten vorlegen, die sie via Gesundheits-Apps gesammelt haben. Blutzucker-Spiegel, Blutdruck, EKG, Herzfrequenz und vieles mehr. Mithilfe der Daten kann der Arzt fallspezifische Maßnahmen ergreifen. Dies setzt jedoch eine kritische Prüfung der Daten durch den Arzt voraus: Sind die erhobenen Werte reproduzierbar? Was ergeben Untersuchungen in der Praxis? Wie eine jüngst im „British Medical Journal“ veröffentlichte Studie zu Angeboten, die Patienten eine konkrete Diagnose oder einen Handlungsvorschlag erstellen, zeigt, wird lediglich in einem Drittel aller Fälle die richtige Diagnose digital gestellt. Dies bestätigt, dass der unmittelbare Patienten-Arzt-Kontakt unabdingbar und Grundlage einer richtigen Diagnosestellung und Therapieeinleitung ist.

Die via App auf dem Smartphone gewonnenen Daten können den Arzt bei der Prüfung nach einer geeigneten Arzneimitteltherapie für den Patienten unterstützen und den Therapiebeginn beschleunigen. Dies kann dann im unmittelbaren Gespräch zwischen Arzt und Patient sinnvoll genutzt werden.

E-Health-Gesetz

Auch Bundesgesundheitsminister Herrmann Gröhe fordert „klare Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Patienten, medizinisches Personal und App-Hersteller.“ Außerdem will er, dass Produkte, „die einen wirklichen Nutzen für Patienten bringen, schnell in die Versorgung gelangen.“ Mit dem E-Health-Gesetz hat die Politik endlich einen rechtlichen Rahmen geschaffen. Gröhe verspricht sich von dem Gesetz langfristig mehr Fortschritt im Gesundheitswesen hinsichtlich Datentransfer und -austausch. So sieht das Gesetz die Einführung eines Medikationsplans vor, der die Kommunikation zwischen Arzt und Apotheke erleichtern soll. Auch wird der elektronische Arztbrief fortan vergütet, wenn der Arztbrief mittels eines eArztausweises elektronisch signiert wird. Bis zum Jahr 2019 ist die Einführung einer elektronischen Patienten-akte sowie eines elektronischen Patientenfaches vorgesehen. Dies alles sind Chancen, die die Digitalisierung in der Medizin mit sich bringt und die wir uns und den Patienten zunutze machen sollten, um für sie die größtmögliche Behandlungssicherheit zu erzielen.

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